Dissoziative Identitätsstörung: Symptome erkennen, Ursachen verstehen, Diagnose und Behandlung

Wenn die Seele in Scherben zerbricht – Ein Wegweiser zum Verständnis und zur Heilung der komplexen Persönlichkeitsstörung

Stellen Sie sich vor, Sie blicken in den Spiegel und erkennen sich selbst nicht wieder. Sie haben das Gefühl, jemand anderes zu sein, mit völlig anderen Erinnerungen, Verhaltensweisen und Charakterzügen. Ihr Inneres fühlt sich an, als wäre es in viele Teile zersplittert, die nicht zueinander passen wollen. Wenn Sie solche Erfahrungen machen, leiden Sie möglicherweise unter einer dissoziativen Identitätsstörung (DIS), früher auch bekannt als multiple Persönlichkeitsstörung.

In diesem Artikel erfahren Sie alles Wichtige über dieses komplexe Krankheitsbild – von den Symptomen und Ursachen über die Diagnose bis hin zu den Behandlungsmöglichkeiten. Egal, ob Sie selbst betroffen sind, jemanden mit DIS kennen oder einfach mehr über diese faszinierende Störung lernen möchten – hier finden Sie wertvolle Informationen und Hilfestellungen.

Dissoziative Identitätsstörung auf einen Blick

  • DIS ist eine seltene, komplexe psychische Störung, bei der eine Person mehrere distinkte Persönlichkeitszustände entwickelt
  • Hauptsymptome sind Gedächtnisverlust, das Gefühl der Fremdheit gegenüber sich selbst und wechselnde Identitäten
  • Ursache ist meist schwerer Missbrauch oder Trauma in der Kindheit, wodurch die Persönlichkeitsentwicklung gestört wird
  • Die Diagnose erfordert eine gründliche psychologische Untersuchung und den Ausschluss anderer Erkrankungen
  • Behandlung erfolgt primär durch Psychotherapie mit dem Ziel der Integration der Persönlichkeitsanteile

Was versteht man unter einer dissoziativen Identitätsstörung?

Die dissoziative Identitätsstörung ist eine schwerwiegende psychische Erkrankung, die zur Gruppe der Dissoziationsstörungen gehört. Betroffene entwickeln zwei oder mehr unterschiedliche Identitäten oder Persönlichkeitszustände, die wiederholt die Kontrolle über ihr Verhalten übernehmen. Jede Identität hat dabei ihre eigene Lebensgeschichte, eigene Erinnerungen, Fähigkeiten und Charakterzüge.

Früher wurde die DIS auch als “multiple Persönlichkeitsstörung” bezeichnet. Dieser Begriff ist jedoch irreführend, da es sich nicht um völlig getrennte Persönlichkeiten handelt, sondern um abgespaltene Anteile ein und derselben Person. Anstelle einer gesunden, integrierten Identität liegt eine Fragmentierung des Selbsterlebens vor.

Historischer Fakt: Die erste gut dokumentierte Fallbeschreibung einer DIS stammt aus dem Jahr 1646. Damals berichtete der deutsche Arzt Georg Eberhardt Schröter von einer Frau, die zwischen zwei Persönlichkeiten hin- und herwechselte.

Welche Symptome weisen auf eine dissoziative Identitätsstörung hin?

Die dissoziative Identitätsstörung geht mit einer Vielzahl an Symptomen einher, die sich von Person zu Person unterscheiden können. Zu den häufigsten Anzeichen gehören:

  • Gedächtnisverlust und Blackouts für bestimmte Zeiträume, Ereignisse oder persönliche Informationen
  • Das Gefühl, neben sich zu stehen und sich selbst fremd zu sein (Depersonalisation)
  • Der Eindruck, dass die eigene Umgebung unwirklich und fremd erscheint (Derealisation)
  • Innere Stimmen oder Dialoge, die als nicht zur eigenen Person gehörig erlebt werden
  • Plötzliche Veränderungen der Handschrift, des Wortschatzes oder der Stimmlage
  • Finden von unbekannten Gegenständen im eigenen Besitz oder Notizen von der eigenen Hand
  • Unerklärliche Verhaltensänderungen, die von Außenstehenden berichtet werden
  • “Verlorene Zeit”, d.h. Zeiträume, an die sich die Person nicht erinnern kann
  • Selbstverletzendes Verhalten ohne ersichtlichen Grund
  • Chronische Ängste, Depressionen oder Suizidgedanken

Die genannten Symptome müssen über einen längeren Zeitraum bestehen und zu erheblichem Leidensdruck oder Beeinträchtigungen im Alltag führen, damit die Diagnose einer DIS gestellt werden kann.

Beachten Sie: Viele Betroffene versuchen, ihre Symptome zu verbergen und ein “normales” Leben zu führen. Nach außen hin kann eine DIS daher zunächst völlig unauffällig erscheinen.

Einige typische Komorbiditäten (Begleiterkrankungen), die häufig zusammen mit einer DIS auftreten, sind:

  • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
  • Angststörungen wie Panikattacken oder soziale Phobie
  • Depressionen
  • Essstörungen
  • Substanzmissbrauch
  • Somatoforme Störungen (körperliche Beschwerden ohne organische Ursache)

Wie entsteht eine dissoziative Identitätsstörung?

Die genauen Ursachen für die Entstehung einer dissoziativen Identitätsstörung sind noch nicht vollständig geklärt. Bisher geht man davon aus, dass es sich um eine Störung der normalen Identitätsentwicklung handelt, die durch schwere traumatische Erfahrungen in der Kindheit ausgelöst wird.

Als Hauptrisikofaktor gilt erlittener Missbrauch – sowohl körperlicher, emotionaler als auch sexueller Art. Studien zeigen, dass bis zu 90% der Betroffenen in ihrer Kindheit solchen Traumata ausgesetzt waren, meist über einen längeren Zeitraum und durch nahe Bezugspersonen.

Weitere mögliche Auslöser sind:

  • Vernachlässigung der kindlichen Grundbedürfnisse
  • Wiederholte Gewalterfahrungen in der Familie oder durch Gleichaltrige
  • Schwere Erkrankungen oder Unfälle
  • Frühkindliche Bindungsstörungen durch instabile oder fehlende Bezugspersonen

Man geht davon aus, dass die Dissoziation – also die Abspaltung von Erinnerungen, Gefühlen und Erlebnissen – in solchen Situationen zunächst als eine Art Schutzmechanismus dient. Das Kind lernt, sich von den unerträglichen Erfahrungen innerlich zu distanzieren und “wegzuschalten”.

Über die Zeit entwickeln sich daraus eigenständige Persönlichkeitsanteile, die jeweils bestimmte Aspekte der Traumatisierung “übernehmen”. Sie unterscheiden sich in ihren Emotionen, Verhaltensweisen und Überzeugungen und haben keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu den Erinnerungen der anderen Anteile.

Die Identitätsfragmentierung kann als fehlgeleiteter Versuch verstanden werden, die überwältigenden Erfahrungen zu bewältigen und ein Überleben in einer feindlichen Umwelt zu sichern. Sie verschafft dem Kind eine gewisse Kontrolle und ermöglicht es ihm, trotz allem zu funktionieren.

Neben den genannten Umweltfaktoren scheinen auch genetische und neurobiologische Einflüsse eine Rolle zu spielen, worauf erste Studien hindeuten. So könnten bestimmte Gene die Vulnerabilität für Dissoziationsphänomene erhöhen. Und bei Betroffenen wurden strukturelle und funktionelle Veränderungen in Hirnregionen festgestellt, die an Gedächtnis- und Integrationsprozessen beteiligt sind.

Wichtiger Hinweis: Eine dissoziative Identitätsstörung ist niemals selbst verschuldet. Sie resultiert aus traumatischen Lebensumständen, die die Bewältigungsfähigkeiten eines Kindes übersteigen und auf die es keinen Einfluss hat.

Welche Probleme und Komplikationen können bei einer DIS auftreten?

Eine unbehandelte dissoziative Identitätsstörung kann zu einer Reihe von Problemen und Komplikationen in verschiedenen Lebensbereichen führen:

  • Zwischenmenschliche Schwierigkeiten: Die Symptomatik führt oft zu Konflikten und Missverständnissen in Beziehungen, sowohl privat als auch beruflich. Angehörige fühlen sich durch die wechselnden Persönlichkeitszustände irritiert, überfordert oder abgelehnt. Es fällt Ihnen schwer, eine stabile Bindung aufrecht zu erhalten.
  • Berufliche und finanzielle Einschränkungen: Aufgrund der Gedächtnislücken, der inneren Zerrissenheit und plötzlicher Verhaltensänderungen haben Betroffene häufig Probleme, einer geregelten Arbeit nachzugehen oder die eigenen Finanzen zu verwalten. Ihre Leistungsfähigkeit ist vermindert und es kommt zu häufigen Fehlzeiten.
  • Selbstgefährdendes Verhalten: In schweren Fällen treten bei einer DIS selbstverletzende Handlungen wie Schneiden, Verbrennen oder Schlagen des eigenen Körpers auf. Es besteht ein erhöhtes Risiko für Substanzmissbrauch und Suchtverhalten (Alkohol, Drogen, Medikamente). Auch Suizidversuche und Essstörungen sind häufiger als in der Allgemeinbevölkerung.
  • Traumafolgestörungen: Viele Betroffene entwickeln infolge der frühkindlichen Belastungen zusätzlich eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Sie leiden unter sich aufdrängenden Erinnerungen (Flashbacks), Albträumen, Übererregtheit und Vermeidungsverhalten. Die Symptome verstärken sich oft gegenseitig und erschweren eine Behandlung.
  • Fehldiagnosen: Da die DIS ein sehr komplexes Störungsbild ist und häufig mit anderen psychischen Erkrankungen einhergeht, kommt es nicht selten zu Fehldiagnosen. Betroffene erhalten dann nicht die adäquate Therapie und fühlen sich in ihrem Leid nicht verstanden. Eine verzögerte Diagnosestellung verschlechtert die Prognose.

Merken Sie sich: Um derart schwerwiegende Folgen abzuwenden, ist eine frühzeitige Diagnose und Behandlung der dissoziativen Identitätsstörung entscheidend. Je eher Sie professionelle Hilfe aufsuchen, desto besser sind die Heilungschancen.

Wie wird eine dissoziative Identitätsstörung diagnostiziert?

Die Diagnose einer dissoziativen Identitätsstörung ist oft eine Herausforderung und erfordert viel Erfahrung auf Seiten des Behandelnden. Da die Symptome für Außenstehende zunächst schwer erkennbar sein können und große Überschneidungen mit anderen psychischen Erkrankungen bestehen, vergehen oft Jahre bis zur korrekten Einordnung des Krankheitsbildes.

Grundlage der Diagnose ist eine ausführliche Anamnese (Befragung) zu den aktuellen Beschwerden, der Vorgeschichte und den Lebensumständen. Dabei sollten folgende Kernkriterien gemäß DSM-5 erfüllt sein:

  1. Es liegen zwei oder mehr distinkte Persönlichkeitszustände vor, die unterschiedliche Verhaltensweisen, Gedanken und Gefühle aufweisen.
  2. Es kommt zu wiederkehrenden Lücken in der Erinnerung an alltägliche Ereignisse, wichtige persönliche Informationen und/oder traumatische Erlebnisse.
  3. Die Symptome verursachen klinisch bedeutsame Belastungen oder Beeinträchtigungen in verschiedenen Funktionsbereichen (z.B. sozial, beruflich, in Beziehungen).
  4. Die Störung kann nicht durch die Wirkung einer Substanz (z.B. Alkohol, Medikamente) oder eine andere medizinische Erkrankung erklärt werden.

Um die Diagnose abzusichern und mögliche organische Ursachen auszuschließen, kommen verschiedene Untersuchungsverfahren zum Einsatz:

  • Psychologische Testverfahren wie Persönlichkeits- und Dissoziationsfragebögen (z.B. DES, MID)
  • Bildgebende Verfahren wie CT, MRT oder PET zur Darstellung der Hirnstruktur und -funktion
  • Laboruntersuchungen zum Ausschluss von Stoffwechselerkrankungen, Infektionen etc.
  • Ausführliches psychiatrisches Gespräch zur differentialdiagnostischen Abgrenzung von anderen Störungen

Bei der diagnostischen Einordnung ist besondere Sorgfalt geboten, um Verwechslungen mit ähnlichen Krankheitsbildern zu vermeiden. Dazu gehören unter anderem:

  • Schizophrenie (Psychose mit Wahn, Halluzinationen und Ich-Störungen)
  • Borderline-Persönlichkeitsstörung (Instabiles Selbstbild und Affektregulation)
  • Bipolare Störung (Phasenhafter Verlauf mit depressiven und manischen Episoden)
  • Dissoziative Störungen (z.B. Fugue, Amnesie, Depersonalisation)
  • Hirnorganische Störungen (z.B. Epilepsie, Demenz)

Aufgrund der Komplexität des Störungsbildes und der Überlappung mit vielen anderen Erkrankungen sollte die Diagnose stets von erfahrenen Fachpersonen gestellt werden.

Beachten Sie: Bei einer dissoziativen Identitätsstörung können sehr unterschiedliche Persönlichkeitsanteile auftreten, die sich in Alter, Geschlecht, Sprache, Wissen und Fähigkeiten unterscheiden. Manche Anteile sind hilfreich und unterstützend, andere eher feindselig und destruktiv. Nicht immer sind sich Betroffene all ihrer Persönlichkeitsanteteile auftreten, die sich in Alter, Geschlecht, Sprache, Wissen und Fähigkeiten unterscheiden. Manche Anteile sind hilfreich und unterstützend, andere eher feindselig und destruktiv. Nicht immer sind sich Betroffene all ihrer Persönlichkeitsanteile bewusst.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei einer dissoziativen Identitätsstörung?

Gerade weil die dissoziative Identitätsstörung eine so komplexe Erkrankung ist, erfordert die Behandlung viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Fachwissen. Eine erfolgreiche Therapie setzt eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung voraus, in der sich der Betroffene sicher und verstanden fühlt.

Ziel der Behandlung ist nicht, die verschiedenen Persönlichkeitsanteile auszulöschen oder zu unterdrücken. Vielmehr geht es darum, sie kennenzulernen, anzunehmen und schrittweise zu integrieren. Die Identitätsfragmente sollen nicht mehr als Fremdkörper oder Feinde gesehen werden, sondern als Teile der eigenen Persönlichkeit, die alle ihre Berechtigung und Funktion haben.

Der zentrale Baustein der Therapie ist eine spezialisierte Psychotherapie. Hier haben sich verschiedene Ansätze als wirksam erwiesen:

  • Die psychodynamisch orientierte Therapie geht davon aus, dass die abgespaltenen Selbstanteile ursprünglich eine Schutzfunktion hatten. In der Behandlung werden die verdrängten Konflikte und Traumata schrittweise aufgearbeitet und in die Persönlichkeit integriert.
  • Die kognitive Verhaltenstherapie setzt an den verzerrten Denk- und Verhaltensmustern an, die mit der DIS einhergehen. Negative Überzeugungen werden hinterfragt, hilfreiche Bewältigungsstrategien eingeübt. Durch Konfrontation in sensu oder in vivo soll die Traumaverarbeitung angeregt werden.
  • Bei der EMDR-Methode (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) werden belastende Erlebnisse unter zusätzlicher bilateraler Stimulation (z.B. durch Augenbewegungen) wiederholt durchlebt. Dies soll zu einer beschleunigten Verarbeitung und Neubewertung der traumatischen Erinnerungen führen.
  • In der Ego-State-Therapie werden die verschiedenen Persönlichkeitsanteile als eigenständige Teile oder “States” betrachtet. Der Therapeut tritt mit ihnen in einen inneren Dialog, erforscht ihre Entstehungsgeschichte, Funktion und Bedürfnisse. Ziel ist deren Kooperation und Versöhnung.
  • Die systemische Therapie bezieht das direkte soziale Umfeld, v.a. die Familie und den Partner, in die Behandlung ein. Gemeinsam werden dysfunktionale Kommunikations- und Verhaltensmuster aufgedeckt und verändert. Die Bezugspersonen lernen, unterstützend und stabilisierend zu wirken.

In vielen Fällen hat sich eine Kombination mehrerer Therapieverfahren bewährt, um möglichst viele Aspekte der Erkrankung abzudecken. Die Behandlung erfolgt überwiegend ambulant, bei schweren Krisen oder Selbstgefährdung kann aber auch eine stationäre Therapie nötig sein.

Ergänzend zur Psychotherapie kommen bei einer DIS Medikamente zum Einsatz, um einzelne Symptome zu lindern. Infrage kommen z.B.:

  • Antidepressiva bei depressiven Verstimmungen, Ängsten und Zwängen
  • Stimmungsstabilisierer bei extremen Stimmungsschwankungen und Erregungszuständen
  • Neuroleptika in niedriger Dosierung bei ausgeprägter Anspannung und psychotischen Symptomen
  • Betablocker bei Übererregung des vegetativen Nervensystems

Allerdings sollten Medikamente nie die einzige Behandlungsform darstellen, sondern immer in eine Psychotherapie eingebunden sein. Bei unkritischer Anwendung besteht die Gefahr einer Medikamentenabhängigkeit.

Nicht zu unterschätzen sind auch allgemeine Maßnahmen zur Stressbewältigung und Stabilisierung:

  • Anleitung zu Entspannungsverfahren wie Meditation, Progressive Muskelrelaxation oder Atemtechniken
  • Regelmäßige körperliche Aktivität wie Spazierengehen, Joggen, Schwimmen oder Tanzen
  • Aufbau eines unterstützenden sozialen Netzwerkes durch Familie, Freunde, Selbsthilfegruppen
  • Erlernen eines liebevollen, wertschätzenden Umgangs mit sich selbst und den eigenen Grenzen
  • Führen eines Tagebuchs zur besseren Selbstwahrnehmung

Tipp: Es kann sehr entlastend sein, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Der Austausch mit anderen Betroffenen hilft, sich weniger allein und “verrückt” zu fühlen. Hier finden Sie Verständnis, Halt und wertvolle Tipps für den Umgang mit der Erkrankung.

Wie kann man einer dissoziativen Identitätsstörung vorbeugen?

Der wohl wichtigste protektive Faktor ist eine liebevolle, stabile und sichere Beziehung zu den primären Bezugspersonen. Kinder brauchen das Gefühl der Geborgenheit und des Angenommenseins, um eine gesunde Persönlichkeit entwickeln zu können. Dazu gehören:

  • Feinfühlige Wahrnehmung und angemessene Reaktion auf die kindlichen Bedürfnisse und Signale
  • Ein wertschätzender, respektvoller Umgang auf Augenhöhe
  • Klare, altersgerechte Grenzen und Regeln ohne Gewalt oder Willkür
  • Förderung der individuellen Fähigkeiten und Interessen
  • Schutz vor Überforderung, Vernachlässigung und Übergriffen
  • Viel gemeinsame Zeit, in der das Kind die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern hat

Ein weiterer wichtiger Schutzfaktor ist die soziale Unterstützung außerhalb der Kernfamilie. Gute Beziehungen zu Großeltern, Geschwistern, ErzieherInnen oder LehrerInnen können eine wichtige Ressource darstellen und helfen, eventuelle Defizite in der Eltern-Kind-Beziehung abzupuffern.

Ebenso bedeutsam ist die Vermittlung von Bewältigungsstrategien und Problemlösefertigkeiten. Kinder sollten lernen, wie sie schwierige Situationen und unangenehme Gefühle aushalten und konstruktiv damit umgehen können. Dazu gehört auch die Erfahrung, dass Probleme vorübergehend sind und es immer jemanden gibt, der einem hilft.

Fakt: Das Risiko, an einer dissoziativen Identitätsstörung zu erkranken, ist für Personen mit frühkindlichen Traumatisierungen 10-mal höher als für Personen ohne Missbrauchs- oder Gewalterfahrungen.

Ist es bereits zu traumatischen Erlebnissen gekommen, ist eine möglichst frühe Intervention entscheidend, um deren Auswirkungen abzumildern. Eine Traumatherapie mit dem betroffenen Kind kann verhindern, dass sich eine dissoziative Störung verfestigt oder chronifiziert. Dabei ist auch die massive Entlastung und Unterstützung der nicht-missbrauchenden Elternteile wichtig.

Nicht zuletzt ist die Aufklärung und Sensibilisierung der Gesellschaft von großer Bedeutung. Kindeswohlgefährdungen müssen frühzeitig erkannt und unterbunden werden. Betroffene Familien brauchen niedrigschwellige Hilfsangebote und Anlaufstellen. Je mehr das Thema Missbrauch und dessen Folgen enttabuisiert wird, umso eher trauen sich Opfer, darüber zu sprechen und sich Hilfe zu holen.

Fazit

Die dissoziative Identitätsstörung ist eine schwerwiegende, aber behandelbare psychische Erkrankung. Sie entsteht als Folge von schwersten chronischen Traumatisierungen in der Kindheit und zeigt sich in einem Zerfall der einheitlichen Persönlichkeit in distinkte Selbst-Zustände. Betroffene leiden unter Erinnerungslücken, dem Gefühl der Entfremdung von sich selbst und wechselnden Identitäten.

Für Angehörige und Außenstehende sind die Symptome oft schwer nachvollziehbar und irritierend. Umso wichtiger ist ein Verständnis für die zugrunde liegenden Mechanismen: Die Aufspaltung der Persönlichkeit ist der verzweifelte Versuch eines Kindes, unerträgliche Erfahrungen zu bewältigen und zu überleben. Sie hatte anfangs eine Schutzfunktion und darf nicht verurteilt werden.

Die Behandlung der DIS erfordert eine spezielle Psychotherapie, die darauf abzielt, die abgespaltenen Anteile anzunehmen, miteinander zu versöhnen und schrittweise zu integrieren. Eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung ist dabei die Grundvoraussetzung. Ergänzend können Medikamente sowie stabilisierende Maßnahmen zum Einsatz kommen.

Entscheidend für die Vorbeugung einer DIS ist der Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Missbrauch und Gewalt. Sie brauchen konstante liebevolle Bezugspersonen, klare Grenzen und die Möglichkeit, ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln. Dafür müssen betroffene Familien rechtzeitig Hilfen erhalten und Kindeswohlgefährdungen konsequent unterbunden werden.

Wenn Sie sich in der Beschreibung der Symptome wiedererkennen, scheuen Sie sich nicht davor, sich professionelle Hilfe zu holen. Eine dissoziative Identitätsstörung ist eine ernsthafte, komplexe Erkrankung, die sich nicht von alleine wieder gibt. Je früher Sie sich jemandem anvertrauen und eine Therapie beginnen, desto besser sind Ihre Chancen auf Heilung. Sie haben ein Recht darauf, die Unterstützung und Behandlung zu bekommen, die Sie brauchen. Geben Sie nicht auf, auch wenn der Weg lang und steinig erscheint – eine Besserung ist möglich!

Weiterführende Quellen

  • https://www.netzwerk-did.de/ – Netzwerk Dissoziative Identitätsstörung e.V. mit vielen hilfreichen Infos und Kontakten
  • Fiedler, P. (2001): Dissoziative Störungen und Konversion: Trauma und Traumabehandlung. Beltz Verlag.
  • Gast, U. et al. (2006): Multiple Persönlichkeitsstörung. Diagnostik, Klinik, Therapie. Beltz Verlag.
  • Huber, M. (1995): Multiple Persönlichkeiten: Überlebende extremer Gewalt. Fischer Taschenbuch Verlag.
  • Putnam, F. W. (2013): Handbuch Dissoziative Identitätsstörung. Diagnose und psychotherapeutische Behandlung. Junfermann Verlag.
  • Reddemann, L., Hofmann, A., Gast, U. (2004): Psychotherapie der dissoziativen Störungen. Thieme Verlag.
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