Anenzephalie: Symptome, Ursachen, Diagnose und Behandlung dieser seltenen Fehlbildung

Wenn das Gehirn fehlt: Was Eltern und Ärzte über Anenzephalie wissen müssen

Die Diagnose Anenzephalie ist für werdende Eltern ein Schock. Doch was genau verbirgt sich hinter diesem seltenen Defekt? Dieser Beitrag gibt einen umfassenden Überblick über Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten der Anenzephalie. Erfahren Sie, wie Ärzte die Fehlbildung erkennen und was betroffene Familien in dieser schwierigen Situation tun können.

Auf einen Blick: Die wichtigsten Fakten zur Anenzephalie

  • Anenzephalie ist eine schwere Fehlbildung des Nervensystems, bei der große Teile des Gehirns fehlen
  • Sie entsteht in der frühen Schwangerschaft durch einen Verschlussfehler des Neuralrohrs
  • Betroffene Babys werden ohne Großhirn und Schädeldecke geboren
  • Die Erkrankung ist nicht mit dem Leben vereinbar, die meisten Kinder sterben kurz nach der Geburt
  • Eine pränatale Diagnose ist ab der 11.-14. Schwangerschaftswoche möglich
  • Es gibt keine Heilung, nur eine palliative Versorgung ist möglich
  • Die Einnahme von Folsäure vor und während der Schwangerschaft kann das Risiko senken

Was ist Anenzephalie? Definition und Erklärung des Krankheitsbildes

Anenzephalie ist eine schwerwiegende angeborene Fehlbildung des zentralen Nervensystems. Der Begriff leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet wörtlich übersetzt “ohne Gehirn” (an = ohne, encephalon = Gehirn).

Bei dieser seltenen Erkrankung kommt es während der Embryonalentwicklung zu einer unvollständigen Schließung des Neuralrohrs. Das Neuralrohr ist die Vorstufe des Gehirns und Rückenmarks. Normalerweise schließt es sich in der 3.-4. Schwangerschaftswoche. Bei der Anenzephalie bleibt dieser Prozess jedoch unvollständig.

Als Folge davon entwickeln sich große Teile des Gehirns nicht oder nur rudimentär. Betroffene Babys kommen ohne Großhirn, Schädeldecke und Teile des Hirnstamms zur Welt. Lediglich Teile des Hirnstamms und manchmal auch des Kleinhirns sind vorhanden.

Wichtig: Anenzephalie ist eine der schwersten Fehlbildungen des Nervensystems und nicht mit dem Leben vereinbar. Die meisten betroffenen Babys sterben bereits im Mutterleib oder kurz nach der Geburt.

Häufige Symptome: Wie äußert sich eine Anenzephalie?

Die charakteristischen Merkmale einer Anenzephalie sind bereits bei der Geburt deutlich sichtbar:

  • Fehlen der Schädeldecke: Der obere Teil des Kopfes ist nicht von Knochen bedeckt.
  • Fehlendes Großhirn: Das Großhirn (Cerebrum) fehlt komplett oder ist nur rudimentär angelegt.
  • Freiliegendes Hirngewebe: Vorhandenes Hirngewebe liegt offen, ohne schützende Haut.
  • Hervortreten der Augen: Die Augäpfel treten oft deutlich hervor (Froschaugensymptom).
  • Deformierter Kopf: Der Kopf erscheint abgeflacht und deformiert.
  • Fehlende Stirn: Die Stirnpartie ist nicht ausgebildet.

Weitere mögliche Symptome und Auffälligkeiten:

  • Herzfehler und Fehlbildungen anderer Organe
  • Eingeschränkte oder fehlende Reflexe
  • Atmungsprobleme
  • Unfähigkeit zu schlucken oder zu saugen
  • Fehlen des Temperaturregulationssystems

Hinweis: Trotz des fehlenden Großhirns können Anenzephalie-Babys oft noch primitive Reflexe zeigen. Sie reagieren teilweise auf Berührungen oder Geräusche.

Ursachen und Risikofaktoren: Wie entsteht eine Anenzephalie?

Die genauen Ursachen für die Entstehung einer Anenzephalie sind noch nicht vollständig geklärt. Wissenschaftler gehen von einem multifaktoriellen Geschehen aus, bei dem verschiedene Faktoren zusammenspielen:

  1. Genetische Faktoren:
    • Bestimmte Genmutationen können das Risiko erhöhen
    • Familiäre Häufung wurde beobachtet
  2. Umweltfaktoren:
    • Folsäuremangel der Mutter vor und zu Beginn der Schwangerschaft
    • Exposition gegenüber bestimmten Medikamenten (z.B. Valproinsäure)
    • Strahlenbelastung in der Frühschwangerschaft
  3. Stoffwechselstörungen der Mutter:
    • Schlecht eingestellter Diabetes mellitus
    • Störungen im Folsäurestoffwechsel
  4. Andere mögliche Risikofaktoren:
    • Sehr junges oder fortgeschrittenes Alter der Mutter
    • Übergewicht der Mutter
    • Alkohol- und Drogenkonsum während der Schwangerschaft
    • Bestimmte Virusinfektionen in der Frühschwangerschaft

Wichtig: In den meisten Fällen lässt sich keine eindeutige Ursache für die Entstehung einer Anenzephalie finden. Betroffene Eltern sollten sich nicht die Schuld geben!

Mögliche Komplikationen: Welche Folgen hat eine Anenzephalie?

Anenzephalie ist eine lebensunfähige Fehlbildung. Die schwerwiegendsten Komplikationen sind:

  1. Intrauteriner Fruchttod: Viele Anenzephalie-Babys sterben bereits im Mutterleib.
  2. Frühgeburt: Es kommt häufiger zu vorzeitigen Wehen und Frühgeburten.
  3. Postnataler Tod: Die meisten lebend geborenen Babys sterben innerhalb weniger Stunden oder Tage.
  4. Polyhydramnion: Übermäßige Fruchtwasserbildung, die zu Komplikationen führen kann.
  5. Geburtskomplikationen: Durch die fehlende Schädeldecke kann es zu Problemen bei der Entbindung kommen.
  6. Organversagen: Die fehlende Hirnfunktion führt zum Versagen lebenswichtiger Organe.
  7. Infektionen: Durch das freiliegende Hirngewebe besteht ein erhöhtes Infektionsrisiko.

Warnung: Anenzephalie-Babys, die die Geburt überleben, haben eine sehr kurze Lebenserwartung von wenigen Stunden bis Tagen. Eine längerfristige Lebenserhaltung ist nicht möglich.

Diagnose: Wie wird eine Anenzephalie festgestellt?

Die Diagnose einer Anenzephalie erfolgt in der Regel pränatal, also noch vor der Geburt. Folgende Untersuchungsmethoden kommen zum Einsatz:

  1. Ultraschalluntersuchung:
    • Wichtigstes diagnostisches Mittel
    • Erste Anzeichen oft schon ab der 11.-14. Schwangerschaftswoche sichtbar
    • Typische Befunde: fehlende Schädelkalotte, fehlendes Großhirn
  2. Alpha-Fetoprotein (AFP) Test:
    • Erhöhte AFP-Werte im mütterlichen Blut oder Fruchtwasser können ein Hinweis sein
    • Wird oft als Teil des Ersttrimester-Screenings durchgeführt
  3. Magnetresonanztomographie (MRT):
    • Kann zur genaueren Darstellung der Fehlbildung eingesetzt werden
    • Besonders hilfreich bei unklaren Ultraschallbefunden
  4. Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese):
    • Kann zusätzliche Informationen liefern, z.B. über genetische Anomalien
    • Wird nicht routinemäßig durchgeführt
  5. Fetale Echokardiographie:
    • Spezielle Ultraschalluntersuchung des fetalen Herzens
    • Kann begleitende Herzfehler aufdecken

Tipp: Eine frühe Diagnose ermöglicht es den Eltern, sich auf die schwierige Situation vorzubereiten und wichtige Entscheidungen zu treffen.

Behandlungsmöglichkeiten: Welche Optionen gibt es bei Anenzephalie?

Anenzephalie ist nicht heilbar. Es gibt keine Behandlung, die das fehlende Gehirngewebe ersetzen oder die Lebenserwartung deutlich verlängern könnte. Die Betreuung konzentriert sich daher auf palliative Maßnahmen und die Unterstützung der betroffenen Familien:

  1. Pränatale Betreuung:
    • Engmaschige Überwachung der Schwangerschaft
    • Psychologische Betreuung der Eltern
    • Besprechung der Geburtsoptionen
  2. Geburtsplanung:
    • Entscheidung über vaginale Geburt oder Kaiserschnitt
    • Vorbereitung auf mögliche Komplikationen
  3. Palliative Versorgung nach der Geburt:
    • Schmerzlinderung und Komfortmaßnahmen für das Baby
    • Unterstützung der Atmung, falls nötig
    • Wärmeregulation
  4. Emotionale Unterstützung der Familie:
    • Möglichkeit zum Abschiednehmen
    • Seelsorgerische Betreuung, wenn gewünscht
    • Trauerbegleitung
  5. Nachsorge:
    • Genetische Beratung für zukünftige Schwangerschaften
    • Psychologische Unterstützung der Eltern und Geschwister

Wichtig: Jede Familie geht unterschiedlich mit der Diagnose um. Manche Eltern entscheiden sich für einen Schwangerschaftsabbruch, andere möchten die Schwangerschaft fortführen. Es gibt kein “Richtig” oder “Falsch” – wichtig ist eine umfassende Beratung und Unterstützung bei der Entscheidungsfindung.

Prävention: Wie kann man Anenzephalie vorbeugen?

Obwohl sich nicht alle Fälle von Anenzephalie verhindern lassen, gibt es Maßnahmen, die das Risiko senken können:

  1. Folsäure-Supplementierung:
    • Einnahme von 400 µg Folsäure täglich, idealerweise schon 3 Monate vor der Schwangerschaft
    • Fortsetzung der Einnahme während des ersten Trimesters
  2. Ausgewogene Ernährung:
    • Reichlich folsäurehaltige Lebensmittel wie Blattgemüse, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte
    • Vermeidung von Vitamin-B12-Mangel durch ausreichende Zufuhr (besonders wichtig für Vegetarier und Veganer)
  3. Gesunder Lebensstil:
    • Verzicht auf Alkohol und Nikotin
    • Reduzierung von Übergewicht vor der Schwangerschaft
  4. Kontrolle von Grunderkrankungen:
    • Gute Einstellung eines Diabetes mellitus
    • Behandlung von Epilepsie unter ärztlicher Aufsicht
  5. Vermeidung schädlicher Umwelteinflüsse:
    • Schutz vor übermäßiger Strahlenbelastung
    • Vorsicht im Umgang mit potenziell schädlichen Chemikalien
  6. Genetische Beratung:
    • Bei familiärer Vorbelastung oder vorherigen Schwangerschaften mit Neuralrohrdefekten

Tipp: Die Folsäure-Supplementierung ist die wichtigste präventive Maßnahme. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über die für Sie geeignete Dosierung, besonders wenn Sie zu einer Risikogruppe gehören.

Fazit: Leben mit der Diagnose Anenzephalie

Die Diagnose Anenzephalie ist für werdende Eltern eine enorme emotionale Belastung. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese schwere Fehlbildung nicht durch eigenes Verschulden entsteht. Moderne Diagnosemethoden ermöglichen eine frühzeitige Erkennung, was den Betroffenen Zeit gibt, sich auf die schwierige Situation vorzubereiten.

Obwohl es keine Heilung gibt, können palliative Maßnahmen dazu beitragen, dem Baby und der Familie in der kurzen gemeinsamen Zeit so viel Komfort wie möglich zu bieten. Die Entscheidung, wie mit der Diagnose umgegangen wird, ist höchst persönlich und sollte von Ärzten, Hebammen und Psychologen einfühlsam begleitet werden.

Für die Zukunft setzen Wissenschaftler ihre Hoffnungen auf ein besseres Verständnis der genetischen und umweltbedingten Faktoren, die zur Entstehung von Anenzephalie beitragen. Bis dahin bleibt die Prävention durch Folsäure-Einnahme und einen gesunden Lebensstil der wichtigste Ansatzpunkt, um das Risiko für Neuralrohrdefekte zu senken.

Betroffene Familien sollten wissen, dass sie in dieser schweren Zeit nicht allein sind. Selbsthilfegruppen und spezialisierte Beratungsstellen können wertvolle Unterstützung biBetroffene Familien sollten wissen, dass sie in dieser schweren Zeit nicht allein sind. Selbsthilfegruppen und spezialisierte Beratungsstellen können wertvolle Unterstützung bieten und helfen, mit der Trauer und den schwierigen Entscheidungen umzugehen.

Weiterführende Informationen und Hilfsangebote

Für Eltern und Angehörige, die von der Diagnose Anenzephalie betroffen sind, gibt es verschiedene Anlaufstellen für Unterstützung und weitere Informationen:

  1. Selbsthilfegruppen:
    • Bieten Austausch mit anderen betroffenen Familien
    • Vermitteln praktische Erfahrungen im Umgang mit der Diagnose
    • Beispiel: “Anenzephalie Deutschland e.V.”
  2. Psychosoziale Beratungsstellen:
    • Professionelle Unterstützung bei der Verarbeitung der Diagnose
    • Hilfe bei Entscheidungsfindungen
    • Oft an Krankenhäusern oder bei Wohlfahrtsverbänden angesiedelt
  3. Perinatale Hospize:
    • Spezialisierte Einrichtungen für Familien mit pränatal diagnostizierten lebensverkürzenden Erkrankungen
    • Bieten ganzheitliche Betreuung von der Diagnose bis zur Trauerbegleitung
  4. Online-Foren und Chatgruppen:
    • Ermöglichen anonymen Austausch mit anderen Betroffenen
    • Oft rund um die Uhr verfügbar
  5. Fachverbände und Stiftungen:
    • Stellen aktuelle Informationen und Forschungsergebnisse bereit
    • Beispiel: “Arbeitskreis Neuralachsdefekte”

Tipp: Zögern Sie nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Verarbeitung einer solchen Diagnose ist eine enorme emotionale Herausforderung, bei der Sie nicht allein sein müssen.

Häufig gestellte Fragen zur Anenzephalie

Um das Verständnis für diese seltene Erkrankung zu vertiefen, beantworten wir hier einige häufig gestellte Fragen:

  1. Wie häufig kommt Anenzephalie vor?
    • Die Prävalenz von Anenzephalie liegt bei etwa 1 von 1000 bis 1 von 10.000 Geburten, je nach geografischer Region und ethnischer Zugehörigkeit.
    • In Deutschland werden jährlich etwa 200-300 Fälle diagnostiziert.
  2. Gibt es ein erhöhtes Wiederholungsrisiko nach einer Anenzephalie-Schwangerschaft?
    • Das Risiko für eine erneute Schwangerschaft mit Neuralrohrdefekt ist leicht erhöht (etwa 2-3%).
    • Eine genetische Beratung vor einer erneuten Schwangerschaft wird empfohlen.
  3. Können Anenzephalie-Babys Schmerzen empfinden?
    • Aufgrund des fehlenden Großhirns ist es unwahrscheinlich, dass diese Babys Schmerzen bewusst wahrnehmen können.
    • Trotzdem werden palliative Maßnahmen zur Komfortverbesserung ergriffen.
  4. Ist eine Organspende bei Anenzephalie-Babys möglich?
    • In einigen Ländern wird die Organspende bei Anenzephalie-Babys diskutiert und teilweise praktiziert.
    • Es handelt sich um ein ethisch komplexes Thema, das sorgfältig abgewogen werden muss.
  5. Wie unterscheidet sich Anenzephalie von anderen Neuralrohrdefekten?
    • Anenzephalie ist die schwerste Form der Neuralrohrdefekte.
    • Im Gegensatz zur Spina bifida, bei der das Rückenmark betroffen ist, fehlt bei Anenzephalie das Großhirn.
  6. Kann man während der Schwangerschaft etwas tun, um dem Baby zu helfen?
    • Leider gibt es keine Behandlung, die den Verlauf der Anenzephalie beeinflussen kann.
    • Der Fokus liegt auf der Unterstützung der Eltern und der Vorbereitung auf die Geburt.
  7. Wie lange können Anenzephalie-Babys überleben?
    • Die meisten Babys versterben innerhalb weniger Stunden oder Tage nach der Geburt.
    • In seltenen Fällen wurde von Überlebenszeiten von einigen Wochen berichtet.

Aktuelle Forschungsansätze zur Anenzephalie

Obwohl Anenzephalie derzeit nicht heilbar ist, gibt es verschiedene Forschungsansätze, die darauf abzielen, das Verständnis der Erkrankung zu verbessern und möglicherweise neue Präventionsstrategien zu entwickeln:

  1. Genetische Studien:
    • Identifizierung von Risikogenen für Neuralrohrdefekte
    • Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Genen und Umweltfaktoren
  2. Epigenetische Forschung:
    • Analyse der Rolle von DNA-Methylierung und anderen epigenetischen Faktoren bei der Entstehung von Anenzephalie
  3. Verbesserung der pränatalen Diagnostik:
    • Entwicklung neuer Bildgebungsverfahren für eine noch frühere und genauere Diagnose
    • Erforschung von Biomarkern im mütterlichen Blut für ein besseres Screening
  4. Optimierung der Folsäure-Supplementierung:
    • Untersuchung der optimalen Dosierung und Timing der Folsäure-Einnahme
    • Erforschung alternativer Formen der Folsäure-Supplementierung
  5. Stammzellforschung:
    • Grundlagenforschung zur Neurulation und frühen Gehirnentwicklung
    • Langfristige Perspektive: Möglichkeiten der Geweberegeneration
  6. Umweltfaktorenanalyse:
    • Identifizierung weiterer Umweltrisiken für Neuralrohrdefekte
    • Untersuchung der Auswirkungen von Umweltverschmutzung und Klimawandel
  7. Verbesserung der palliativen Versorgung:
    • Entwicklung spezialisierter Pflegeprotokolle für Anenzephalie-Babys
    • Forschung zur optimalen psychosozialen Unterstützung betroffener Familien

Hinweis: Forschungsergebnisse können sich schnell ändern. Informieren Sie sich regelmäßig über den aktuellen Stand der Wissenschaft, z.B. über medizinische Fachzeitschriften oder vertrauenswürdige Online-Quellen.

Ethische Aspekte und gesellschaftliche Diskussion

Die Diagnose Anenzephalie wirft zahlreiche ethische Fragen auf, die sowohl für betroffene Familien als auch für die Gesellschaft als Ganzes von Bedeutung sind:

  1. Schwangerschaftsabbruch:
    • Die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch nach der Diagnose ist hochpersönlich und emotional belastend.
    • Gesellschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen spielen eine wichtige Rolle.
  2. Lebenserhaltende Maßnahmen:
    • Diskussion über den Einsatz von lebenserhaltenden Technologien bei einer nicht lebensfähigen Erkrankung
    • Abwägung zwischen Lebensqualität und Lebensverlängerung
  3. Organspende:
    • Ethische Debatte über die Organentnahme bei Anenzephalie-Babys
    • Fragen nach der Definition des Hirntods und der Autonomie
  4. Pränataldiagnostik:
    • Diskussion über den angemessenen Einsatz von pränatalen Screeningmethoden
    • Gefahr der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen
  5. Ressourcenallokation im Gesundheitswesen:
    • Abwägung zwischen Investitionen in Prävention, Forschung und palliative Versorgung
    • Fragen der Gerechtigkeit und Prioritätensetzung
  6. Psychosoziale Unterstützung:
    • Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betreuung betroffener Familien
    • Gesellschaftliche Verantwortung für die Trauerbegleitung
  7. Inklusion und Akzeptanz:
    • Förderung eines gesellschaftlichen Klimas der Akzeptanz und Unterstützung für Familien mit schwerstbehinderten Kindern
    • Sensibilisierung für die Bedürfnisse betroffener Familien

Wichtig: Die ethischen Diskussionen rund um Anenzephalie sind komplex und erfordern einen sensiblen, respektvollen Dialog unter Einbeziehung verschiedener Perspektiven.

Persönliche Erfahrungsberichte: Leben mit der Diagnose Anenzephalie

Um ein tieferes Verständnis für die emotionalen Herausforderungen zu vermitteln, mit denen betroffene Familien konfrontiert sind, teilen wir hier anonymisierte Auszüge aus Erfahrungsberichten:

Familie A.: “Ein kurzes, aber wertvolles Leben” “Als wir die Diagnose erhielten, brach für uns eine Welt zusammen. Doch wir entschieden uns, die Schwangerschaft fortzuführen. Die wenigen Stunden, die wir mit unserer Tochter nach der Geburt verbringen konnten, waren unglaublich wertvoll. Wir sind dankbar für jede Minute.”

Familie B.: “Der schwierigste Weg meines Lebens” “Die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch war die schwerste meines Lebens. Auch Jahre später zweifle ich manchmal, ob es die richtige Entscheidung war. Die psychologische Unterstützung hat mir geholfen, mit der Trauer umzugehen.”

Familie C.: “Unser Engel hat uns verändert” “Obwohl unser Sohn nur wenige Tage lebte, hat er unser Leben für immer verändert. Wir haben gelernt, was wirklich wichtig ist im Leben. Seine kurze Anwesenheit hat uns als Familie enger zusammengeschweißt.”

Familie D.: “Eine Reise der Liebe und des Abschieds” “Die Schwangerschaft war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Wir haben jeden Moment zelebriert und gleichzeitig Abschied genommen. Das perinatale Hospiz war in dieser Zeit eine unglaubliche Stütze für uns.”

Hinweis: Jede Familie geht anders mit der Diagnose um. Es gibt kein “Richtig” oder “Falsch”. Wichtig ist, dass Betroffene die Unterstützung erhalten, die sie in ihrer individuellen Situation benötigen.

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